Lengfeld/Versbach – So viele Not-, dezentrale und private Unterkünfte auf Würzburger Stadtgebiet wie in den letzten fünf Wochen mussten 2015 nicht aus dem Boden gestampft werden, vor allem nicht in dieser Geschwindigkeit. Während 2015 nur eine Halle als Notunterkunft belegt wurde, sind derzeit die Kürnachtal-, Pleichachtal- und die Dürrbachtalhalle nahezu vollständig belegt, ständig werden neue dezentrale Unterkünfte ertüchtigt und geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer in privaten Wohnraum verlegt. Dahinter stehen organisatorische und logistische Meisterleistungen, noch dazu unter Pandemiebedingungen. „Die Lage ist absolut nicht mit 2015 vergleichbar, sie ist komplett dynamisch und daher ist vieles nicht planbar“, bestätigt Sozialreferentin Dr. Hülya Düber.
Sprachen wir vor kurzem noch in Zusammenhang mit dem Jahr 2015 von „dem Jahr von Migration und Flucht“, lehrt uns die Gegenwart: Heute ist die Situation weitaus bewegter. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sind laut Vereinten Nationen mehr als 3,8 Millionen Menschen auf der Flucht aus ihren zerbombten Städten. Ihre Heimatstädte liegen in Schutt und Asche, ihre Wohnungen und Arbeitsplätze existieren nicht mehr. Während die Männer zum Kriegsdienst an der Waffe gezwungen werden, fliehen die Frauen mit Kindern, Seniorinnen und Senioren. Allein im Stadtgebiet Würzburg kamen bis heute geschätzt etwa 1.000 Menschen an, von denen wir wissen – innerhalb von nur fünf Wochen. Etwa 40 % von ihnen sind Kinder. Fünf Wochen nach Beginn des Ukraine-Krieges, liegen der Stadt Würzburg bereits über 820 Anträge auf finanzielle Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vor. Sollte der Krieg weiter andauern, rechnet die EU mit in der Summe bis zu zehn Millionen Schutzsuchenden. Möglicherweise wird Bayern bis zu 100.000 Geflüchtete aufnehmen müssen, Unterfranken 10.000.
Viele Wege führen hierher
Schutzsuchende aus der Ukraine können visumfrei einreisen und ihren Aufenthaltsort in Deutschland frei wählen. Eine Residenzpflicht gibt es zunächst nicht für die Schutzsuchenden aus der Ukraine. „Wir wissen daher so lange nicht sicher, wie viele Geflüchtete aus der Ukraine hier sind, bis wir sie registrieren können, entweder vor Ort in den Hallenunterkünften oder bis sich diejenigen, die bei Freunden und Verwandten untergekommen sind, selbst bei uns melden“, sagt Manuela Blaß, Leiterin der Ausländerbehörde. Die Menschen kommen aus allen Richtungen und über zahlreiche Wege. Viele kommen privat an mit dem eigenen Pkw oder werden in größeren Gruppen von der polnisch-ukrainischen Grenze abgeholt, privat initiiert. „Heute Morgen“, berichtet Christine Blum-Köhler, Integrationsbeauftragte im Fachbereich Integration, Inklusion und Senioren der Stadt Würzburg, „standen plötzlich sieben ukrainische Frauen vor dem Sozialreferat, auf der Suche nach einer Unterkunft und Waschgelegenheit. Zwei von ihnen ziehen weiter in eine andere Stadt, ob die anderen bleiben, wissen wir nicht.“
„Dass die Menschen aus unterschiedlichen Richtungen ankommen, sich deren Ankunftszahlen nicht einschätzen lassen, dass unerwartet eine größere Menge über wieder andere Fluchtwege Würzburg erreicht, das alles fordert die Mitarbeitenden der Kommunen wie auch die zahlreichen Ehrenamtlichen, die ohnehin schon durch die Pandemie an der Belastungsgrenze sind“, weiß die Sozialreferentin. Genauso ist damit zu rechnen, dass Geflüchtete, die zunächst bei Verwandten oder Bekannten untergekommen sind, in absehbarer Zeit eine eigene Bleibe benötigen. Koordiniert und organisiert werden muss im Sozialreferat neben der Unterbringung und der Ausstattung der Unterkünfte u.a. auch die medizinische Betreuung der Angekommenen, von allgemeiner Untersuchung über die Coronaimpfung bis hin zur Versorgung körperlich Beeinträchtigter, Kranker und krebskranker Kinder. Dr. Düber fasst zusammen: „Die Zahl der Ankömmlinge kann sich täglich ändern, ebenso wie die Zahl der Menschen, die besondere Bedarfe haben wie eine spezielle Krankheitsversorgung.“
So ändern sich täglich die Prämissen. Die Stadtverwaltung wird diese Aufgaben bewältigen, mit der Feuerwehr, den Freiwilligen Feuerwehren, ehrenamtlichen Helfern, Hilfsorganisationen, Rettungsdiensten, privaten Wohnungsvermietern, dem Verein Mrija. Hunderte Mitarbeitende und Ehrenamtliche sind im täglichen Einsatz. Der dauerhafte Betrieb allein der Hallenunterkünfte wird durch eine Vielzahl an ehrenamtlichen Kräften von Hilfsorganisationen, freiwilligen Ärzten und Helfern aufrechterhalten. „Ohne ihre Hilfe und die unzähligen Stunden, die seither geleistet wurden, wäre die Unterbringung, Versorgung und Aufnahme der zahlreichen Geflüchteten nicht in dieser Schnelligkeit und Art leistbar“, dankt die Sozialreferentin.
BU: Aufbau der Notunterkunft Pleichachtalhalle vor drei Wochen gemeinsam mit den Hilfsorganisationen. Foto: Alfred Schubert / AZB